Geschichten von der Strasse

„Trainingslager“ im Baltikum

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Fürwahr, die 370km von Riga nach Klaipeda hatten wir maßlos unterschätzt. Es galt, lediglich einen längeren Abschnitt Landstraße zu befahren, um dann möglichst schnell auf die lithauische A1 zwischen Vilnius und Klaipeda zu gelangen und um 1 Uhr morgens die Fähre Kiel zu nehmen.

Start also um 11h in Riga, geschätzte Ankunft Klaipeda 18h. Zu Fuß und mit dem Bus machen wir uns auf den Weg zum Trampspot in die Rigaer Vorstadt. Weiterlesen

Trainingslager, Part I

Vergangenes Wochenende ging es für einige Tage in die Schweiz auf den Berner Hausberg – das Gurtenfestival lud ein zum Depotbechersammeln für Viva con Agua Schweiz!

Noch wenige Wochen bis zum Tramprennen, ca. 1000km Hin- und Rückweg boten sich als optimales Trainigslager geradezu an. Spät gegen 15 Uhr starteten wir unsere Tour von Hildesheim aus und hatten eigentlich vor, die letzte Band noch mitanschauen zu können und uns ein wenig im Schwiizer Dütsch zu akklimatisieren. Bis 20 Uhr lief die Fahrt reibungslos, ein Plattenhändler aus Hannover und die Fahrt in einem nagelneuen VW direkt aus dem Lager ließen uns guter Dinge sein, die letzte Fahrt auf der Seilbahn hoch auf den Berg noch mitnehmen zu können.

Vor allem unser VW-Fahrer Ercem („Von Beruf bin ich Sohn“) hatte es uns angetan; ausgestattet mit Fischerhut und Sonnenbrille bekamen wir sein Gesicht während der ganzen Fahrt nicht ein einziges Mal komplett zu sehen, seine herzliche Ader aber dennoch zu spüren. Während wir während eines Zwischenstopps damit beschäftigt waren, die Salzstangen außerhalb des neuen Autos zu essen, machte sich unser Ercem auf den Weg in den Dschungel parkender LKW’s auf die Suche nach einem türkischen Trucker, der Richtung Schweizer Grenze fuhr. Das wir uns mittlerweile nicht mal mehr selbst um unsere Mitfahrgelegenheit kümmern mussten, war neu..

Hat leider nicht ganz geklappt und so fanden wir uns wenig später an der Raststelle Wetterau kurz vor Frankfurt wieder, zusammen mit einem Zimmermann auf der Walz und einem anderen Tramper..aber auch hier dauerte es nicht lange und wir saßen im Auto eines Vertreters von Druckersoftware mit interessanten Rucksackreisegeschichten aus Indien. Bereits auf der A5 neigte sich der Tag langsam dem Ende, noch gut 300km bis Bern, da sammelte uns ein Jurastudent im ersten Semester ein und nahm uns erneut einige Kilometer mit. Leider einige Kilometer zuviel…

Statt uns direkt an der Autobahnrastelle abzusetzen, fanden wir uns letztlich auf dem Autohof des wunderschönen Ortes Achern wieder, außer der feiernden Dorfjugend war hier leider nicht viel Verkehr..150km vor Bern war also gegen 23.30 fürs erste Schluss. Ohne Zelt und auch sonst eher spärlich ausgestattet ließen wir es uns zwischen diversen LKWs auf dem Truckerrastplatz gut gehen und wurden gegen 5Uhr morgens freundlich von einem orkanartigen Regenschauer geweckt. Völlig übermüdet und recht kraftlos hieß es also mit Tankstellenfrühstück (2 trockene Brötchen mit Käse zum Sonderpreis von 2,99€ + Kaugummi um den Pappgeschmack im Mund loszuwerden) auf den nächsten Lift zu warten.

Gegen 7 waren wir zurück auf der A5 Richtung Freiburg, Basel und Bern. Das es ausgerechnet ein Holländer war, dem wir schließlich unsere Fahrt direkt bis Bern zu verdanken haben, ist umso verwunderlicher!

Denn die Autos mit den gelben Kennzeichen sind dafür berühmt, selbst für einen 1-Wochenurlaub das Auto bis in den letzten Winkel mit Gegenständen vollzustopfen, die man überlicherweise nichtmal im eigenen Haushalt braucht.

gegen 11 Uhr hatten wir es dann also geschafft!Oben auf dem Berg wurden wir von der restlichen VcA-Truppe empfangen und die nächsten 3 Tage hieß es trotz Sprachbarriere den ein oder anderen Depotbecher für sauberes Trinkwasser zu sammeln!

Die Rückfahrt war mit einem 4km-Marsch durch Zürich im Regen, einem 35km-Stau von Frankfurt nach Würzburg und einer schlaflosen Nacht am Bremer Hauptbahnhof dann eher nicht so feierlich, aber trotzdem wieder mal eine Erfahrung wert.

2 New Yorker auf Europareise, ein Mechanker aus dem bayrischen Wald und ein Bremer Unternehmensberater ließen die kommenden Stunden wie im Flug vergehen und waren voller guter Geschichten!

Die halbe Nacht hab ich dann auch noch die Urlaubsfotos von einem Mallorca-Urlauber angucken dürfen, der mir beim Burger King am Bremer Hauptbahnhof über den Weg gelaufen ist („Ey voll geil, Malle ey!7 Tage nur gesoffen, bin voll fertich ey!Aber die ham da jetzt Schweinegrippe und so, weißt!Ey da hab ich ne Storri, da kackste dir in die Hosen, ma wirklich ey!Aber guck ma hier, Mickie Krause live, da hinten siehst du seinen Schatten!“).

Für Unterhaltung war also gesorgt, bis ich um 6 Uhr morgens im Auto eines Ingenieurs von Biogasanlagen nach Hamburg saß. Mit der S-Bahn gings dann von Harburg nach Stellingen an die Autobahnauffahrt und keine 5 Minuten später war ich rechtzeitig zum CAUntdown-Festival Richtung Kiel unterwegs – im Equipmenttruck von Fettes Brot!

Direkt auf dem Festivalgelände ausgestiegen und das nächste Event für sauberes Trinkwasser konnte beginnen!

In diesem Sinne in Vorfreude auf das Tramprennen,

Jakobus & Malte

Wilson. Die Raststelle, eine Insel.

5 Stunden nachdem Wilsons Truck die Raststätte verlassen hatte, waren neben uns lediglich einige schlafende Trucks der verbleibende Rest in der nach Kaffee und Aufbackbrötchen riechenden Parallelwelt, einer Raststelle bei Besancon. Erst jetzt, gegen 4 Uhr morgens wird uns klar, dass wir unseren Volleyball rücksichtslos und ohne Nachzudenken verstoßen hatten. Wilson. Wilson war nicht mehr da. Wilson war dort, wo wir mittlerweile gerne wären.

But – Who the fuck is Wilson?

Wilson ist der einzige Portugiese mit dem Namen Wilson.

„Wilson? OK, we call you Will“, schlagen wir Wilson beim Weg vom Toilettenhäuschen zum Parkplatz vor.
„Noooo, It’s Wilson.“

Während er das sagt, schmeißt er noch gediegen die letzten Reste seines Fast-Food Bestands in die Ecke, schiebt ein paar Zigarettenstummel vom Beifahrersitz auf den Boden und sucht auf dem Rastplatz nach einem geeigneten Mülleimer für Plastik und Karton. Nachdem wir ihm unsere Rucksäcke ins 2m hohe Führerhäuschen zugestreckten, bittet er auch uns, seine fahrende Heimat zu betreten.

Wilsons Armaturenbrett ist ein Geflecht aus Mehrfachsteckdosen, die von 4 Zigarettenanzündern gespeist werden. Laptop, Handy, Herdplatte, Rasierapparat und die automatische Zahnbürste – ein Truck braucht viel Strom.
„One sleeps in the back, one can watch porn. And I drive.“

Freundlich strahlend zeigt er auf Laptop und Bett. In der Tat, die große Liegefläche hinter den Sitzen lädt zum Verweilen ein, und auch Wilsons DVD-Sammlung würde für genug Zündstoff in den nächsten Stunden sorgen, zweifellos. Seine Begeisterung für Sprachen ist kaum zu übersehen, deutsche Wörterbücher und Sprach-CDs sind ebenfalls Teil der Ausstattung in Wilsons 5m² großen Wohnung. Wir bleiben bei Englisch, „Die.Fleischplatte.“, „Ich.habe.einen.Tisch.reserviert.für.zwei.Personen“ und „Herr.Ober.Die.Rechnung.Bitte.“ werden nach einem kurzen Versuch wohlwollend auf morgen verschoben. Wilson bleibt weiterhin voller Lerneifer. Er ist 30 Jahre alt, seit mittlerweile 7 Jahren in europaweit unterwegs, seine Freundin lebt in Lissabon, eigentlich wollte Wilson mal Polizist werden. „I was young and young people often do stupid things…“. Mit 23 Jahren hatte er betrunken und voller Liebeskummer einen Menschen totgefahren, seitdem fährt Wilson LKW.

Die letzten von Schnee bedeckten Felder ziehen an uns vorbei, die warme, nach selbstgedrehten Zigaretten riechende Lüftung und der beständig-monoton surrende Motor spielen die versöhnlichen Schlussakkorde in dem nie endenden Spiel aus Tag und Nacht. Es geht weiter.

Wilson bietet uns einen Schlafplatz hinten auf der Ladefläche seines Trucks an, ist sich aber nicht ganz sicher, ob der abgeschlossene Raum ausreichend durchlüftet ist. In 9 Stunden dürfe er weiterfahren, mitnehmen würde er uns bis Portugal. Wir steigen mit der Gewissheit aus, um 21 Uhr noch weitere Fahrer auf dem Weg nach Spanien zu finden und sind mit der heute zurückgelegten Strecke noch nicht zufrieden. Nach acht Stunden des Wartens vermissen wir Wilson auf unserer Insel, der Raststelle bei Besancon.

Als Ennio Morricone und das Tramprennen sich ganz nah waren

Am vergangenen Montag ist Ennio Morricone, der wohl berühmteste Filmmusik-Komponist der Welt, im Alter von 91 Jahren gestorben. Von ihm stammt neben zahlreichen anderen Filmthemen das Mundharmonika-Solo aus „Spiel mir das Lied vom Tod“. Ein ganz großer also, der 2007 einen Oscar für sein Lebenswerk erhielt.

Was hat dieser Weltstar mit dem Tramprennen zu schaffen?

Wir schauen zurück ins Jahr 2010, als sich etwa 75 mehr oder weniger junge, verrückte Menschen per Anhalter auf den Weg von Hamburg nach Vama Veche in Rumänien machte. Der Sommer war heiß, die Straßen glühten und mittendrin war das Team Piggeldy und Frederick aus Eisenach. Die beiden Tramp-Anfänger konnten zwar gut reden, mit dem Trampen lief es zunächst jedoch eher schleppend.

Nach dem sie das Ziel der ersten Etappe als vorletzte mit dem Einbruch der Dunkelheit erreichten so gerade noch vor dem Erfolgsteam Biber und Nacken erreichten, startete die zweite Etappe von Heidelberg nach Traunstein ebenfalls suboptimal. Viel Zeit und mehrere Autos benötigten die beiden, um bei sengender Hitze auf einem Autobahnparkplatz an der A6 zu landen. Tramperfahrene Menschen wissen gleich, das ist kein gutes Omen, die beiden waren jedoch optimistisch, denn sofort kamen drei junge, motivierte Menschen auf sie zu. Freudestrahlend erwarteten sie ein Mitnahmeangebot, doch daraus wurde nichts: „Autobahnpolizei Stuttgart. Wir sagen es ihnen gleich, wir suchen Waffen und Drogen“. Verdattert antworteten die beiden Tramper: „Ähhhm, wir sind bei einem Tramprennen, wir sammeln nebenbei Spenden für Viva con Agua und wir wollen doch eigentlich nur ganz friedlich nach Traunstein kommen“. Die naiv-liebevolle Art kam bei den hochmotivierten Gesetzeshüter_innen gar nicht gut an: „Wenn sie auch nur irgendwelche Drogen bei sich haben, ist dieses Rennen jetzt und hier beendet und sie fahren mit uns nach Stuttgart“. Plötzlich erkannten die beiden den Ernst der Lage, alle betäubungsmittelähnlichen Gegenstände wurden geistesgegenwärtig im Brennnesselstrauch entsorgt (was die spätere Suchaktion verunmöglichte) und trotz allergrößter Sorgfalt konnten die drei nichts Verdächtiges bei ihnen finden. Schwein gehabt, das erste Tramprennen-Abenteuer der beiden konnte weitergehen.

Wirklich schnell ging es zwar wieder nicht vorwärts, aber Auto für Auto näherten sie sich der A8 südöstlich von München. Als sie dort endlich an einem Rasthof ankamen, wartete schon die Dunkelheit, doch an Aufgeben dachte keiner. Mit der Gitarre versuchte Toffer alias Piggeldy sein Glück an der Auffahrt und es dauerte keine 5 Minuten, da erbarmte sich doch tatsächlich eine junge Frau im schicken Auto, um die beiden mitzunehmen.

Was sie dazu veranlasste? Das sagte uns Anita Gebharter später im Inter view für unser „Grenzenlos – A hitchhiking guide to planet Tramprennen“ – Magazin. „Die beiden haben mich direkt an meinen Sohn erinnert und außerdem so lieb und wohlerzogen aus der Wäsche geschaut.“ Ihr erster Gedanke war allerdings ein anderer: „Hoffen riechen die gut! Das war bei den beiden Gott sei Dank der Fall. Gefühlt haben Tramper oft einen strengen Geruch.“

Für die beiden Tramper gabs nicht nur einen Lift Richtung Ziel, sondern auch noch eine super spannende Geschichte: Annita kam nämlich gerade aus München, wo sie besagten Ennio Morricone persönlich getroffen hatte, um ihn für ein Projekt der von ihr geleiteten Stiftung „Wings for Life“ zu gewinnen. Erst der große Italiener, jetzt das Team Piggeldy und Frederick. Was für ein Tag für Annita, die direkt vom Rennfieber gepackt wurde, einen Umweg machte und die beiden direkt am Zielort ablieferte: „Ich fand das Konzept des Tramprennens so spannend und die beiden waren super höflich und nett. Ich hätte es einfach nicht übers Herz gebracht, sie an der Autobahn wieder ‚auszusetzen‘.“

Neulich auf der Straße [1]

„Jetzt mal im Ernst: Trampen ist doch voll fürn Arsch! Ich steh hier jetzt seit gefühlt zwei Stunden, langsam wird es kalt und zu essen hab ich auch nichts dabei. Und wofür mache ich das? Weil ich lächerliche 300km vorwärts kommen möchte. Das wären doch höchstens 15 Euro mit der Mitfahrgelegenheit und 30 bis 50 € im Zug. Da säße ich jetzt im Warmen und wüsste genau, dass ich bald ankomme.

Aber ich? Ich steh mit einem alten Karton an der Straße und habe langsam Schmerzen, weil ich seit einer Ewigkeit den Daumen rausstrecke. Dazu habe kommt das immer beklemmender werdende Gefühl, dass heute kein Mensch für mich anhält. Es reagiert nicht mal einer auf mein freundliches Lächeln. Das einzige was ich ernte, sind mitleidige oder verachtungsvolle Blicke. Oh mein Gott, ein Tramper!

An einer Tankstelle mag das Ganze ja in Ordnung sein, aber an der Straße ist Trampen echt das allerletzte. Du kannst nichts machen, stehst nur blöd rum und alle zehn Minuten erinnerst du dich, dass du eigentlich nach zehn Minuten dein Schild ändern oder deinen Platz wechseln wolltest. Egal, zehn Minuten versuche ich es noch! Dann ein Blick auf die Uhr: Ich stehe ja doch erst 40 Minuten, vielleicht komme ich ja heute tatsächlich noch an. Die Ernüchterung folgt beim Blick nach oben: Auto 478 und LKW 45 rasen genauso regungslos vorbei, wie ihre Vorgänger. Langsam sollte ich mir echt Gedanken machen, wo ich heute Nacht pennen kann, wenn ich hier nicht mehr wegkomme.“

Knappe drei Stunden später steige ich direkt vor meiner Haustür aus einem kleinen Wagen, habe eine wahnsinnig entspannte Fahrt hinter mir und einen richtig coolen Typen kennengelernt. Trampen, dass ist doch mit Abstand die schönste Art zu reisen!