Da läuft was schief…

Es ist der 15.Oktober 2011, der erste weltweit organisierte Protest gegen Banken, Lobbyisten, Politiker, Atomkonzerne, Genmais, Arbeitslosigkeit, Bunga-Bunga Parties und Mario Barth. Ein Protest gegen alles sozusagen. Das scheint zu passieren, wenn der Körper gegen seine Organe rebelliert. Alles oder Nichts.

Vigo, Galizien. Am Ende des Protestmarschs eine Kundgebung mit Mikrofonzugang für jedermann. Attac, malestar.org und ein paar Betrunkene haben gesprochen. Dann kommt er. Gezielt und schnell zischt seine Faust in den Himmel, als würde er Gott persönlich die Nase brechen wollen. Zack! Volltreffer! Die Masse schreit und pfeift begeistert Beifall.[singlepic id=2011 w=320 h=240 float=left]
„In dem Land, aus dem ich komme, hätte man mir längst die Kehle durchgeschnitten! Wir können dort nicht auf die Straße gehen, protestieren und unsere Meinung öffentlich kundtun! Danke an alle, die heute ihre Stimme erhoben haben und auf die Straße gegangen sind!“, sagt der Mann und verschwindet mit einem fröhlichen Grinsen wieder vom Rednerpult.
Knock-Out in der ersten Runde. Mit drei Sätzen. Der Knock-Out für jeden Kritiker, Zweifler, Pessimisten, Miesepeter. Wäre dies ein Boxkampf, Boris Becker und Gerhard Mayer-Vorfelder hätten vor Wut gepfiffen, stehend und mit zwei Fingern im Mund! Meine Freunde: Brot und Spiele sind vorbei. Das Römische Reich beginnt zu wackeln.
Wer noch nicht ganz verstanden hat, wogegen oder wofür eigentlich protestiert wird: Es spielt überhaupt keine Rolle. Die Menschen protestieren, weil sie protestieren können. Weil sie das Recht haben, zu protestieren. Und das ist gut so. Denn…

Mikrofon und MC `s sind nicht zu trennen wie Religionen und Krieg.
Da läuft was schief…
Ja wir und das Mic sind nicht zu trennen wie Nike und Kinderarbeit.
Irgendwas stimmt hier nicht…
Der Stift und das Blatt sind nicht zu trennen so wie Willkür und Macht.
Da läuft was schief…
Wir und dope Beats sind nicht zu trennen wie Lügen und Politik.
Irgendwas stimmt hier nicht!
(Blumentopf – da läuft was schief)

Sechs Stunden vorher sind wir auf dem Weg von Santiago de Compostela nach Vigo, der größten Stadt Galiziens, und sitzen im Auto eines Journalisten der Zeitung „La Voz de Galicia“. „In der Form kann und wird das aktuelle System nicht weiter bestehen können. Ich kann euch nicht sagen, was passiert. Aber irgendetwas wird passieren.“
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Mautstation. Blauer Himmel, Sonnenschein. Drei Helikopter fliegen über unseren Köpfen hinweg und löschen einige Kilometer entfernt einen Waldbrand. Sieh an, da brennt er auch, der Baum. Seit Monaten hat es hier nicht mehr geregnet. Auch die Pflanzen warten auf einen Wandel.
Das nächste Auto hält, eine Englisch- und Deutschlehrerin. „Hoffentlich sehen wir uns später auf der Demonstration, ich werde in jedem Fall da sein!“, sagt sie. 1989 war sie zufällig in Berlin.
Vor Ort treffen wir auf die ganze Bandbreite an Altersklassen und Demo-Sprüchen, ob spitzfindig oder stumpfsinning. „Wir sind die 99%“, liest man auf vielen Pappschildern und auch in Gesichtern. Der Spiegel hat es im repräsentativen und metaphorischen Sinne wohl nicht ganz verstanden. Shits Happen.[singlepic id=2010 w=320 h=240 float=left]
Wir schlafen am Strand, ich schaffe meine ersten Meter auf der Slackline. Kein Boden unter den Füßen, die Arme haltlos in der Luft. Hmn, irgendwie bezeichnend. Generation Praktikum. Naja, vielleicht können wir unsere Zukunft auch ohne Fundament aus Beton gestalten. Ein paar Schritte bin ich schließlich schon ohne Ast vorangekommen. Irgendetwas jedenfalls muss sich ändern.
Zum Beispiel die Rückseite des Bustickets im ÖPNV von Vigo. Gutscheine für Gratisburger bei McDonalds. Sebastian Bensmann würde sagen: „Da schmeißte dem Hund halt wieder nen Knochen hin und dann hält er auch erstmal schön die Schnauze. Gib dem Pöbel was zu Fressen und Gut is.“ Selbst Käptn Blaubär musste irgendwann schmerzhaft feststellen, dass seine Feinschmeckerinsel eigentlich die Verschlingpflanze Gourmetica Insularis ist, sein übermäßiger Konsum ihn lediglich fett, träge und verwundbar gemacht hat. Blaubär wurde glücklicherweise vom Vagabundierenden Flugsaurier in letzter Sekunde gerettet. Doch wer rettet uns? Jesus? Sicherlich nicht. Vielleicht die inspirierenden Worte von Gunter Pauli. Im Hier und Jetzt jedenfalls sind es ein Argentinier und seine Freundin, die uns kurz vor der Dunkelheit an der Autobahnauffahrt einsammeln und zurück Richtung Santiago fahren: „Ich wohne schon ein paar Jahre hier, aber eine derartige Protestwelle habe ich in Spanien noch nicht erlebt. Soviele Menschen. Etwas liegt in der Luft…das konnte man gestern spüren.“[singlepic id=2009 w=320 h=240 float=right]
Etwas liegt in der Luft. Und vielleicht kommt er bald ja wirklich, der erhoffte Regen. Für die Pflanzen – und die 99%. Denn irgendwas läuft da schief.

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