Wilson. Die Raststelle, eine Insel.

5 Stunden nachdem Wilsons Truck die Raststätte verlassen hatte, waren neben uns lediglich einige schlafende Trucks der verbleibende Rest in der nach Kaffee und Aufbackbrötchen riechenden Parallelwelt, einer Raststelle bei Besancon. Erst jetzt, gegen 4 Uhr morgens wird uns klar, dass wir unseren Volleyball rücksichtslos und ohne Nachzudenken verstoßen hatten. Wilson. Wilson war nicht mehr da. Wilson war dort, wo wir mittlerweile gerne wären.

But – Who the fuck is Wilson?

Wilson ist der einzige Portugiese mit dem Namen Wilson.

„Wilson? OK, we call you Will“, schlagen wir Wilson beim Weg vom Toilettenhäuschen zum Parkplatz vor.
„Noooo, It’s Wilson.“

Während er das sagt, schmeißt er noch gediegen die letzten Reste seines Fast-Food Bestands in die Ecke, schiebt ein paar Zigarettenstummel vom Beifahrersitz auf den Boden und sucht auf dem Rastplatz nach einem geeigneten Mülleimer für Plastik und Karton. Nachdem wir ihm unsere Rucksäcke ins 2m hohe Führerhäuschen zugestreckten, bittet er auch uns, seine fahrende Heimat zu betreten.

Wilsons Armaturenbrett ist ein Geflecht aus Mehrfachsteckdosen, die von 4 Zigarettenanzündern gespeist werden. Laptop, Handy, Herdplatte, Rasierapparat und die automatische Zahnbürste – ein Truck braucht viel Strom.
„One sleeps in the back, one can watch porn. And I drive.“

Freundlich strahlend zeigt er auf Laptop und Bett. In der Tat, die große Liegefläche hinter den Sitzen lädt zum Verweilen ein, und auch Wilsons DVD-Sammlung würde für genug Zündstoff in den nächsten Stunden sorgen, zweifellos. Seine Begeisterung für Sprachen ist kaum zu übersehen, deutsche Wörterbücher und Sprach-CDs sind ebenfalls Teil der Ausstattung in Wilsons 5m² großen Wohnung. Wir bleiben bei Englisch, „Die.Fleischplatte.“, „Ich.habe.einen.Tisch.reserviert.für.zwei.Personen“ und „Herr.Ober.Die.Rechnung.Bitte.“ werden nach einem kurzen Versuch wohlwollend auf morgen verschoben. Wilson bleibt weiterhin voller Lerneifer. Er ist 30 Jahre alt, seit mittlerweile 7 Jahren in europaweit unterwegs, seine Freundin lebt in Lissabon, eigentlich wollte Wilson mal Polizist werden. „I was young and young people often do stupid things…“. Mit 23 Jahren hatte er betrunken und voller Liebeskummer einen Menschen totgefahren, seitdem fährt Wilson LKW.

Die letzten von Schnee bedeckten Felder ziehen an uns vorbei, die warme, nach selbstgedrehten Zigaretten riechende Lüftung und der beständig-monoton surrende Motor spielen die versöhnlichen Schlussakkorde in dem nie endenden Spiel aus Tag und Nacht. Es geht weiter.

Wilson bietet uns einen Schlafplatz hinten auf der Ladefläche seines Trucks an, ist sich aber nicht ganz sicher, ob der abgeschlossene Raum ausreichend durchlüftet ist. In 9 Stunden dürfe er weiterfahren, mitnehmen würde er uns bis Portugal. Wir steigen mit der Gewissheit aus, um 21 Uhr noch weitere Fahrer auf dem Weg nach Spanien zu finden und sind mit der heute zurückgelegten Strecke noch nicht zufrieden. Nach acht Stunden des Wartens vermissen wir Wilson auf unserer Insel, der Raststelle bei Besancon.

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