Geschichten von der Strasse

TR-Adventskalender #23

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#23: Stefan

Scheiße. Die Sonne geht schon unter. Und keiner hält an. Wirklich niemand halt an dieser verfickten Stelle an. Auffahrt Leipzig Nord-Ost auf dem Weg nach Dresden. Ich stehe hier schon seit mehreren Stunden. Es ist kalt. Abgase umgeben mich. Ständig nervig, laute Autos, die an mir vorbeiziehen. Ich bin frustriert. Keiner liebt mich. Und das soll also trampen sein?

Ich beschließe nach Hause zu gehen. Hat doch keinen Sinn hier. Trampen, das funktioniert doch gar nicht! Und nun wieder den ganzen Weg zurück in die Stadt. Was für eine Blamage. Ich bleib hier noch kurz stehen, damit ich mich weiter ärgern kann. Und irgendwie hab ich auch gerade keinen Bock auf irgendwas. Was mach ich hier eigentlich? Hätte ich doch, mal eine Mitfahrgelegenheit…….zzzzziip. Hält das Auto da wirklich an? Ja, es hat angehalten. Renn los du Taugenichts! Es hat wirklich angehalten! Unglaublich….

Ein Studienkollege hatte mich zwei Wochen vorher motiviert, mich in dieses Abenteuer zu stürzen. „Trampen ist cool, mach das doch mal!“ Machte Sinn für mich. Er erzählte gerade, wie er von Hamburg nach Leipzig im Anzug getrampt ist und wie toll das funktioniert hätte. Auftreten und Haltung. So wichtig beim Trampen. Ich sollte das sehr bald verinnerlicht haben. Zehn Jahre ist das nun her. Vor zehn Jahren wäre ich fast wieder umgedreht und zurück nach Hause gegangen. Vor zehn Jahren hat sich etwas ereignet, was mein Leben komplett verändert hat. Diese Frau hat angehalten und mich mitgenommen.

Ich kann mich nicht mehr an ihren Namen erinnern. Es war ein kleines, älteres Auto. Farbe Rot, wahrscheinlich ein Renault. Sie hatte angolanische Wurzeln, arbeitete als Friseuse und war auf dem Weg Richtung Pirna. An Dresden vorbei. Genau da, wo ich hin wollte. Direktlift in der Dämmerung. Was ein Glück. Falls du, meine liebe Fahrerin, das hier lesen solltest, sag ich nochmal Danke. Ich bin so froh, dass du angehalten hast und mir die Möglichkeit gegeben hast, diese Erfahrung zu machen. Die war rückblickend so wichtig für mich!

Die Fahrt war sehr nett. Wir unterhielten uns über dies uns das. Nicht das ich mich noch an irgendwelche Details erinnern konnte, aber an das Gefühl und das war gut. Ich freute mich wahrscheinlich wie Bolle, dass es wirklich funktioniert hat. Es hat geklappt, dieses Trampen. Wer hätte das gedacht. Ich musste nach Dresden rein. Die Autobahn lag aber am Stadtrand. Weit entfernt vom Zentrum. Natürlich hatte ich mir über solche Nebensächlichkeiten zu dieser Zeit noch keine Gedanken gemacht. Musste ich an diesem Tag auch nicht.

Meine Fahrerin machte einen großen Umweg für mich und fuhr den ganzen Weg in die Stadt rein. Ich wurde direkt am Hauptbahnhof herausgelassen. So nett! Und dann geschah etwas, was mir noch sehr oft in meinem Leben passieren sollte. Sie fragte mich, ob ich denn Geld für die Bahn hätte. Ich meinte, ohne groß darüber nachzudenken, dass ich kein Bargeld dabei hab, aber das ja kein Problem ist, weil ich Geld am Automaten abheben könnte. Wir erreichten den Bahnhof. Ich bedankte mich und war schon fast auf meinem Weg nach draußen. Auf einmal zog sie einen 10 Euro Schein aus ihrer Tasche. „Hier.“ „Oh nein, Danke, aber das ist nicht nötig. Ich kann mir doch Geld holen.“ „Na komm, meinem Sohn hätte ich es auch gegeben.“ Wer kann bei dieser Reaktion noch ablehnen? Ich war völligst gerührt, hab die zehn Euro eingesteckt und bin ausgestiegen.

Die 10 Euro waren nicht so wichtig. Es ist auch egal, ob Menschen mir Geld, Essen, Bustickets, Selfie-Sticks oder Umarmungen schenken. Es geht um was anderes: Andere freut es, wenn sie euch einen Gefallen tun können. Und ich möchte diese Freude anderen Menschen ermöglichen. Es ist ein Akt der Nächstenliebe zwischen Fremden. Und diese Verbindung begab sich, weil wir für kurze Zeit zusammen in die gleiche Richtung gefahren sind. Sie hat mich wie ihren Sohne behandelt. Das hat mich tief berührt. Das ist eigentlich das wunderbare am Trampen. Diese zufälligen Begegnungen mit anderen Menschen, mit denen man eine herzliche und unvoreingenommene Verbindung eingehen darf. Ich bin in den letzten 10 Jahren mit vielen Personen gefahren, die aus einem komplett unterschiedlichen Kontext gekommen sind und mit denen ich im normalen Leben wahrscheinlich nie geredet hätte. Und ich hab mich immer wieder überraschen und beeindrucken lassen. Weil jeder hat etwas interessantes an sich hat. Und weil jeder es Wert ist, geliebt zu werden. Mein erstes Trampen hat definitiv den Grundstein für diese Haltung gelegt.

Ich trampe nicht nur aus Spaß an der Freude. Trampen war jahrelang Lifestyle für mich. Bewegung hieß Trampen. Ich hatte jahrelang ein Auto und trotzdem: Trampen musste sein. Immer und überall hin. Es gab keine wirkliche Überlegung zu dieser Angewohnheit, ich hab es einfach gemacht. Und wenn ich nun zurückblicke, dann hat mir dieser Lifestyle einiges ermöglicht. Wir haben irgendwann die Deutsche Trampsport Gemeinschaft gegründet und erkunden Deutschland mit dem Daumen. Im Oktober 2014 bin ich schließlich zu meiner Weltumtrampung aufgebrochen. 22 Monate, 58 Länder und 109.000 km später sitze ich wieder zu Hause. Keine Ahnung, wie das alles so eskalieren konnte. Aber es hat mein Leben so unglaublich bereichert. Und ich weiß, wann das angefangen hat: Als dieser wundervolle und herzliche Mensch an einem Sommertag 2006 an der Auffahrt Leipzig Nord-Ost in der Dämmerung angehalten hat, um einen Fremden mitzunehmen. Sharing is caring! Und kleine Gesten können im Leben der Anderen große Auswirkungen haben!

TR-Adventskalender #20

#20: Audrey

Das erste Mal, dass ich getrampt bin, war im Sommer 2011. Ich kam gerade als französische Austauschstudentin in Kiel an. Durch Couchsurfing habe ich ein paar wirklich coole deutsche Hippies kennengelernt, die bei Viva con Agua, einer deutschen NGO, aktiv waren. Die haben die ganze Zeit über eine Aktion geredet: Das Tramprennen. Ich hatte keine Vorstellung, worum es dabei ging und erst nachdem sie mir ein paar Videos von der Straße gezeigt hatten, habe ich verstanden, dass es sich um stolze Tramper handelte. Es war das allererste Mal, dass ich Menschen getroffen habe, die das Trampen als Sache an sich feierten und die es nicht nur aus der Notwendigkeit heraus betrieben. Das fand ich zunächst eher verstörend als cool.

Mein erstes Mal verlief dann so: Wir waren in der tschechischen Hauptstadt Prag und wollten zurück nach Kiel zur Kieler Woche. Mit meiner Freundin Camille wurde ich an einer Tankstelle außerhalb der Stadt abgesetzt. Es war noch früh am Morgen und wir hatten keine Ahnung, was wir da gerade machten. Aber wir hatten die leichte Hoffnung, dass wir es vor Einbruch der Dunkelheit nach Kiel schaffen könnten.

Wir waren zwei Frauen, besaßen keine Karte und zusammen nur ein Handy, also haben wir über ein paar Sicherheitsregeln nachgedacht. Eine davon war, dass wir, egal was passieren würde, zusammen bleiben, eine andere war, dass wir es uns sofort sagen würden, wenn wir uns unsicher fühlen.

Kaum hatten wir unser Schild ein paar Minuten hochgehalten, stoppte auch schon ein riesiger LKW. Der Fahrer, ein älterer Mann, sprach Deutsch und sagte: Hey Mädels, wir fahren nach Deutschland, ihr könnt mitkommen! Ein Mädel kommt mit mir, das andere kann mit dem Truck hinten mitfahren.“ In dem Moment sahen wir einen weiteren riesigen Truck, dessen Fahrer uns bereits eifrig winkte. Ich bedankte mich höflich und ergänzte: „Wir können leider nicht mitkommen, wir wollen zusammenbleiben.“

Zu spät! Camille rannte vor lauter Glück, dass so schnell jemand anhielt, mit ihrem Rucksack schon zu dem anderen LKW. Als ich also im LKW platznahm offenbarte mir der Fahrer direkt, wie gern er französische Mädchen hat, seit er eine Affäre mit einer Frau namens Nathalie hatte. Nach diesem unheimlichen Start erinnerte ich mich daran, wie sehr ich das Gefühl mag, von oben herab auf die Straße und die anderen Autos zu schauen. Ich mochte es auch, dass mich der LKW-Fahrer quasi in sein Wohnzimmer eingeladen hat, er bot mir Kaffee, Plätzchen und Zigaretten während der Fahrt an. Wir sprachen über seine Familie in Polen und hörten polnische Oldschool Popmusik. Ich schaute dennoch die ganze Zeit besorgt in den Spiegel und hatte Angst, dass Camilles LKW verschwinden könnte. Doch dem war nicht so, die beiden Trucks lieferten sich auf der Autobahn ein Rennen und überholten sich gegenseitig. An das Tempolimit verschwendete ich keinen Gedanken, ich war einfach froh, Camilles lachendes Gesicht jedes Mal zu sehen, wenn wir uns überholten.

Ein paar Stunden später hielten wir zusammen an und die beiden Fahrer teilten ihr Essen mit uns. Camilles Fahrer war super nett, aber auch er hatte seine ganze Fahrerkabine mit Postern nackter Frauen tapeziert. Sie hat alles im Griff, sagte Camille.

Sechs Stunden später ließen sie uns in Leipzig raus und wir setzten unseren Weg nach Kiel fort, ohne einmal mehr als fünf Minuten warten zu müssen. Selbst während unserer Pause wurden wir von einer Familie gestört, die uns fragte, wo wir denn hinwollen. Am Ende des Tages haben uns ein paar Leute trotz 200km Umweg extra nach Kiel gefahren und dort mit uns die ganze Nacht gefeiert.

Es war der erste Tag meiner langen Geschichte mit dem Reisen per Anhalter. Unterwegs kann alles passieren, ganz besonders großartige Erfahrungen und zufällige, lustige Begegnungen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie meine letzten fünf Jahre ohne Trampen gewesen wären. Ich gewann Geduld, ich lernte es, Fehler und falsche Entscheidungen zu akzeptieren, auf meinen Bauch zu hören und genügsam zu sein.

Und nicht zuletzt habe ich, als ich Grenzen einfach so passierte und überall willkommen geheißen wurde, herausgefunden, wie privilegiert ich eigentlich bin. Während dem Tramprennen 2015 trafen wir auf dem Weg nach Albanien unzählige Gruppen, die entlang der Bahnschienen nach Norden liefen, während unsere netten Fahrer in ihren gut klimatisierten Fahrzeugen furchtbare rassistische Kommentare machten.

Die Welt gehört dir, wenn du trampst, aber das nur als weißer Europäer bzw. Westlicher.

Ok, um ehrlich zu sein bin ich nicht so wirklich weiß, aber es ist ein Fakt, dass Menschen aus anderen Ländern mir gegenüber deutlich gastfreundlicher sind, als sie es noch eine Generation früher mit meinem Vater waren oder als sie es jetzt mit den nach Europa fliehenden Menschen sind.

Jetzt bleibt die Frage: Willst du deine Privilegien nutzen, um fernzusehen? Oder willst du deine Grenzen ausprobieren und die Welt kennenlernen? Es gibt keinen Grund sich schuldig oder schlecht dafür zu fühlen, mach dich auf den Weg, auf geht’s!

 

TR-Adventskalender #19

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#19: Tue Gonzo

Es ist ein bisschen mehr als 13 Jahre her, dass ich Jack Kerouacs “On the road” gelesen habe. Das Buch hat mich in vielfältiger Weise inspiriert, was total klischeehaft klingt, ich weiß, aber damals war das noch nicht der Fall.

Verdammt, ich merke gerade, dass ich keine 60 bin, dass macht mich selbst zum Märchenonkel, egal, zurück zu meiner lesebedingten Reiselust.

Nachdem ich die inspirierenden Zeilen eines jungen Trampers gelesen hatte, der in den 60ern mit dem Rucksack per Anhalter die Staaten durchquerte, wurde mir klar, dass ich diese berauschende Art und Weise des Reisens mit dem Namen Trampen ausprobieren sollte.

Ich schrieb fast allen meinen Freunden, dass ich etwas total Neues, Außergewöhnliches vor habe und ja, einige haben interessiert geantwortet. In moderne Kommunikation übersetzt bekam ich ungefähr 50 Likes, 12 Emoticons und 4 Shares für meine grandiose Idee.

Mein Plan war es von Kalundborg nach Kopenhagen zu trampen, eine beängstigende Distanz von 120 Kilometern. Dänische Kilometer! (was normalen Kilometern entspricht, aber bessere, einfach schönere Kilometer…)

Kalundborg hat gerade Mal 20.000 Einwohner und folglich gibt es nur eine Straße, die von dort nach Kopenhagen führt und es dauert gerade mal 15 bis 20 Minuten, um dorthin zu laufen.

Mein 17-jähriges Ich sah fantastisch aus an der Straße: Der Daumen raus gestreckt, die Haare im Wind, und ich grinste den Fahren wie ein Honigkuchenpferd entgegen.
Wie ihr euch sicher denken könnt, dauerte es nicht lange und ein Auto hielt an. Es ging nur bis in die nächste Stadt, aber das war vollkommen in Ordnung für mich.

Der nächste Spot war genauso gut, die Autos waren langsam, ich gut sichtbar und es gab viel Platz um anzuhalten. Mein Daumen hatte war noch nicht mal kalt, da stoppte schon das nächste Auto.

Und was passierte jetzt? Ich bekam tatsächlich einen Lift direkt nach Kopenhagen, aber ich sagte dem Fahrer, dass ich nur 20 bis 30km mitfahren möchte, und beim nächsten Auto machte ich das ganz genauso.

Warum?

 
Ganz einfach: Mir ging es nicht darum, nach Kopenhagen zu kommen. Ich wollte trampen und nur durch meinen Daumen in verschiedensten Autos mitfahren und mit den unterschiedlichsten Leuten quatschen.

Nach fünf bis sechs Lifts kam ich in Kopenhagen an und ich lief die letzten acht km bis zum Hauptbahnhof, wo ich mich in den Zug setzte um zurück nach Kalundborg zu fahren. Die nächsten anderthalb Stunden verbrachte ich dann damit, ganz in Ruhe mein Lunchpaket zu verspeisen.

Das war also mein erstes Mal Trampen: Ich habe es erfolgreich von A und B geschafft und wieder zurück nach A. Ich habe mehrere Direktlifts abgelehnt und ich kann sagen, dass es ein in dieser Form bis heute einzigartiger Trip war. Was vollkommen in Ordnung ist, schließlich ist es beim ersten Mal doch erlaubt, verrückten Scheiß auszuprobieren, oder?

 

TR-Adventskalender #18

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Ho,ho,ho- Los gehts! Die Weihnachtszeit rückt näher und wir wollen euch etwas ganz besonderes präsentieren: Den ersten Adventskalender auf tramprennen.org. Jeden Tag bis Weihnachten (oder auch daüber hinaus..) gibt es für euch eine Geschichte von unserer allerallerersten Tramperfahrung! Viel Spaß mit den Geschichten und wir freuen uns riesig über weitere “Mein-erstes-Mal”-Geschichten für den Adventskalender. Schickt Eure einfach an gro.nennerpmartnull@ofni. Whoop,Whoop!

#18: Minerva

Trampen? Echt jetzt? So dieses “Daumen-raus-an-der-Straße-stehen”-Trampen? Als mir meine neuen Mitbewohner in Deutschland davon erzählten, wie sie nur mit einem Rucksack und ein paar hundert Euros quer durch Europa gereist sind, schaute ich völlig verdutzt aus der Wäsche.

Es war gerade Herbst, als ich in Kiel ankam um zu studieren. Deutsch hatte ich während meiner Arbeit als Nanny gelernt und jetzt hatte ich tatsächlich das Glück, in einer WG mit wahren Tramprennen-Experten zu landen.

Trampen, das war für mich zu der Zeit etwas aus Filmen oder aus Jack Kerouacs Buch, aber als jemand, der in den 90er Jahren in Kolumbien aufgewachsen ist, absolut nichts aus dem realen Leben.

Klar, wir hatten traumhafte Strände und Berge, leckere Früchte und generell tolles Essen sowie ein paar fantastische Tanzfilme, aber das alles stand immer im Zusammenhang mit einer gehörigen Portion Misstrauen gegenüber unseren Mitmenschen. Man musste immer vorsichtig sein, die Gefahr lauerte überall und niemals, wirklich niemals, hätte man einen Fremden in sein Auto steigen lassen.

Das erklärt vielleicht ungefähr den Schock, den ich hatte, als Anna und Max mir nicht nur erklärten, dass Trampen in Deutschland funktionieren würde, nein, sie nutzen es als völlig normales Transportmittel. Und nicht nur das, dabei treffen sie auch noch besondere Menschen und entdecken die tollsten Orte.

Es dauerte ein Semester, bis ich meine kolumbianischen Ängste tatsächlich überwand und es einfach versuchte.

Es war Sommer und mein Gast-Großvater hatte eine Operation in Hamburg, wo ich ihn besuchen wollte. Max und Anna wollten zufällig auch nach Hamburg und so passte das perfekt. Wir standen vor dem Ikea in Kiel und sind getrampt. Ich konnte es nicht glauben: Ich war gerade dabei zu trampen. Ich! Die Person, die sich in Bogota nicht mal traute, den Busfahrer zu fragen, ob sie 30 Cent weniger zahlen muss (Ja, das kann man in Kolumbien machen.).

Ich weiß nicht mehr, wie lang es dauerte, vielleicht eine halbe Stunde, bis ein türkischer Mann in einem LKW uns zuwinkte und wir bei ihm einstiegen. Es war fantastisch, ich war wie in Ekstase und er fuhr auch noch genau nach Hamburg!!!

Nachdem ich natürlich noch ein obligatorisches Foto für mein „Was-verrückte-Eurpäer_innen-machen“-Album gemacht hatte, war ich infiziert mit dem Tramp-Virus.

Ich bin bis nach Istanbul und zurück getrampt, ich war im Süden Spaniens, in Italien und an so vielen weiteren Orten, die ich ohne das Reisen per Anhalter niemals kennengelernt hätte. Ich habe so unglaublich tolle, gastfreundliche Menschen getroffen und ich habe es sogar geschafft, ein paar meiner Freunde aus Kolumbien zum Trampen zu bringen!

TR-adventskalender # 13

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Ho,ho,ho- Los gehts! Die Weihnachtszeit rückt näher und wir wollen euch etwas ganz besonderes präsentieren: Den ersten Adventskalender auf tramprennen.org. Jeden Tag bis Weihnachten (oder auch daüber hinaus..) gibt es für euch eine Geschichte von unserer allerallerersten Tramperfahrung! Viel Spaß mit den Geschichten und wir freuen uns riesig über weitere “Mein-erstes-Mal”-Geschichten für den Adventskalender. Schickt Eure einfach an gro.nennerpmartnull@ofni. Whoop,Whoop!

 

# 13: Lisa

Als meine erste Tramperfahrung beschreibe ich gerne das gesamte Tramprennen 2016.  Vorher bin ich noch nie mit rausgestrecktem Daumen von A noch B gereist, aber ich wollte es endlich ausprobieren. Im letzten Jahr konnte ich nicht am Rennen teilnehmen, weil Timing eben ein Arschloch sein kann, wie wir alle wissen.

Vor dem Start war ich skeptisch: Während meines Engaments für eine lokale Aktivist:innengruppe bin ich mit vielen Menschen ins Gespräch gekommen, die auf der exakt gleichen Route, die ich zum Spaß bereisen wollte, Fluchterfahrungen gesammelt hatten. Ich war mir nicht sicher, was ich davon halten sollte, dass es für mich so viel einfacher sein würde als für sie, einfach nur weil ich im Besitz dieser speziellen kleinen Plastikkarte war, die ich tagtäglich in meinem Geldbeutel mit mir herumtrage.

Und dann war er da – mein erster Lift überhaupt. Ein Mann Mitte 50 sammelte uns an einer Tankstelle am Ortsausgang von Innsbruck ein und versprach uns zu einem besseren Spot nahe der Autobahn zu bringen. Im Nachhinein frage ich mich schon ein bisschen, warum er überhaupt für uns angehalten hat und was er wohl von uns dachte, als ich in meinem FC St. Pauli T-Shirt mit dem großen Totenkopf auf der Vorderseite so am Straßenrand stand…

Als wir nämlich mit dem oberflächlichen Geplänkel, darüber wo wir denn herkommen und wo er denn hinfährt fertig waren, befanden wir uns ziemlich schnell in einer politischen Diskussion, für die ich am frühen Morgen definitiv noch nicht bereit war. Während mein Hitchmate sich auf der Rückbank in einem Stadium irgendwo zwischen todesverkatert und einfach übermüdet befand, verbrachte ich etwa eine Stunde damit, mit unserem Fahrer über die Unterschiede zwischen deutscher und österreichischer Politik und die europäische Asylpolitik zu diskutieren. Als er schließlich sichtlich enttäuscht davon war, dass ich ihm nicht die genauen Zahlen aller Sozialhilfe beziehenden Renter:innen in Deutschland nennen konnte – und das obwohl ich doch Politikwissenschaften studiere! – war unsere Diskussion schon so aufgeheizt, dass er vergaß uns am eigentlich geplanten Spot rauszuwerfen.

Also ging es gemeinsam noch ein Stück weiter auf der Landstraße: Während ich von seiner Sturheit immer genervter wurde, schien ihm die Diskussion wirklich Spaß zu machen. Eine seiner Äußerungen, werde ich wohl so schnell nicht vergessen: Er war überzeugt davon, dass ich nur so überzeugt von dem Konzept offener Grenzen bin, weil ich ja noch so jung und unerfahren sei. Aber in zwanzig oder dreißg Jahren, sagte er, da würde sich meine Meinung bestimmt geändert haben. Das auch ich dann eine der Personen sein werde, die es problematisch findet nicht-deutsche Nachbar:innen zu haben. Dass auch ich dann Angst haben und mich um die Zukunft meiner Kinder sorgen würde, wegen all dieser geflüchteten Menschen und ihren uns unbekannten Traditionen.

Diese Aussage blieb mir eine ganze Weile im Kopf und alles, was ich dazu sagen kann, ist: Wenn das wirklich der Fall sein sollte, dann habe ich irgendwann etwas ganz furchtbar falsch gemacht! Zum Glück gelang es meinem Hitchmate an genau diesem Punkt, sich doch noch ins Gespräch einzubringen und das Thema wechselte relativ schnell zu Fußball, wo es auch blieb, bis  uns unser Lift schließlich am McDonalds in der nächsten Kleinstadt unserem Schicksal überließ.

Für den Rest dieses ersten Tramptages und den Rest des Tramprennens 2016 waren die meisten unserer Lifts freundliche und aufgeschlossene Menschen und ich bin ihnen allen sehr dankbar dafür, meine erste Tramperfahrung mitgestaltet zu haben. Und auch diesem ersten Lift bin ich dankbar, wenn auch auf eine andere Art. Er hat mir gezeigt, wie wichtig es ist für eine der Grundannehmen, die vom Tramprennen unterstützt werden, einzustehen: Grenzen für die Menschen zu schließen, die auf deren Offenheit am meisten angewiesen sind, während andere Menschen unzählige Privilegien genießen, derer sich die meisten nicht einmal bewusst sind, ist nicht, wie die Dinge funktionieren sollten. Und diese Aussage muss verbreitet werden. Deswegen, mein lieber rassistischer Fahrer aus Innsbruck, halte ruhig Ausschau nach mir – am Besten gleich nach allen, die diese Meinung teilen – Ich bin mehr als motiviert dieses Thema wieder aufzugreifen, falls wir das Vergnügen haben sollten uns ein zweites Mal zu treffen.