Und die Frage lautet: Ist dieser Reisebericht wahr oder falsch?
Irgendwo zwischen Hannover und Ulm.
„Zahnärzte. Ja, genau die. Von Medizinern belächelt, von Kindern
gefürchtet und von uns verhasst. Genau die sind es, die unsere
Gesellschaft am Leben erhalten. Hätte es vor 300 Jahren mehr von denen
gegeben, die hätten sich einfach ein Kreuz um den Hals hängen brauchen
und mit Ablassbriefen ihr Geld verdienen können!Weißt du eigentlich
was diese armen Kerle unter ihrer Zehntausendwattbirne täglich zu
erleiden haben?!
Wenn sie sagen, man solle nun mal für einen Moment die Luft anhalten
und aufhören zu atmen, damit man den Speichel ohne große Vorkommnisse
absaugen kann, dann brauchen sie keine kurze Pause von dem faulen
Geruch von Speck und Kaffee, der ihnen jeden Tag ein paar Stunden aus
der Speiseröhre entgegen gepustet wird. Da wird eine Pause benötigt
von Abarten, widerlichen Geheimnissen und anderen Krankheiten, die da
neben Kaffe und Speck mit nach oben geschwemmt werden. Man atmet aus
und mit jedem Atemzug pusten wir irgendetwas unserer kaputten
Gedankenwelt und Umgebung hinein mitten ins Gesicht dieses Zahnarztes,
der gerade dabei ist meinen gardinenfarbenen Gelbstich
mit einer Zahnfräse zu entfernen. All die ganze Scheiße, die täglich
passiert und die man beobachtet , Manuelas alkoholvergifteter
13-Jähriger Bengel, der vor 2 Jahren noch so ein süßer Fratz gewesen
ist und Mannis nicht verschwinden wollende Pustel auf der unteren
Hälfte seiner Wirbelsäule, all das muss dieser arme Zahnarzt täglich
mehrere Stunden auf sich ergehen lassen. Neben seinem eigentlichen
Job, unser faules Gebiss wieder geradezubiegen…!
Und weißt du warum?
Weil mit jedem Atemzug, mit jedem Hauch, der aus den Tiefen der
Magengrube kommt, irgendetwas von diesem ganzen Elend auf der Zunge
,am Gaumen und unseren Zähnen kleben bleibt. Und der Zahnarzt, die
arme Sau, der sieht das,der kann das sehen, der hat da ein Auge für,
das glaub mir mal. Das ist wie mit den Gäulen – denen schaut der Bauer
ins Maul und weiß wie alt sie sind. Der Zahnarzt schaut uns ins Maul
und weiß, wer wir sind, welchen Scheiß wir gebaut haben und welchen
Scheiß wir schon mitgemacht haben.An den Zähnen ablesen kann der das!
Der hat nicht Angst vor ner drei Tage alten Pizza, die da noch
irgendwo zwischen den Weisheitszähnen vor sich hinfault – der hat
Angst vor Neukunden oder Leuten, die jahrelang nicht mehr bei ihm
gewesen sind. Weil die meist neben ner ordentlichen Portion Karies und
Zahnfleischentzündung auch gleich die halbe Pest ihrer Seele mit ins
Haus bringen.Da bleibt alles haften – vom geklauten Wurstbrot in der
Grundschule bis zur Nutte im Flughafenhotel, die man seiner werten
Gattin vorzieht – auf den Zahn ist soviel Verlass wie auf das Haar zum
Nachweis von Koks.Nur das man sie nicht abschneiden, sondern allesamt
ausschlagen müsste, um unkenntlich zu machen, was man gesehen und
gemacht hat. Aber dann könnte man sich ja gleich nen tanzenden Affen auf die Stirn tätowieren, um nicht weiter
aufzufallen. Deswegen halten die meisten Leute ja auch die Klappe im
Fahrstuhl, weil sie Angst haben, ein Zahnarzt könnte ihnen
gegenüberstehen.
Wer Problemen lieber aus dem Weg geht, wünscht sich wahrscheinlich,
dass Gott uns lieber durch den Hintern hätte atmen lassen sollen, dann
würden die Aufsässigen einmal bei der Musterung bei der Bundeswehr
richtig auspacken müssen und bloß junge Mütter müssten sich von Zeit
zu Zeit die wütenden Quälereien ihrer Kleinen ins Gesicht furzen
lassen. Aber dann wäre Ruhe. Der Rest wird das Klo runtergespült oder
vermischt sich in der Luft…keine Zähne, keine Probleme, ganz
einfach.Und deshalb, weil es ohne Zähne nicht geht, genau deshalb sind
Zahnärzte die Helden unserer heutigen Gesellschaft, weil sie jeden
einzelnen von uns mal auf dem Beichtstuhl haben und alles sehen
können, was wir je verzapft haben, was uns mitnimmt und was uns
kaputtmacht. Die wissen, was falsch läuft bei uns da draußen.Verstehst
du, was ich meine?!
Wart mal, ich muss mal tanken,willst du nen Kaffee?“
– Klar, gern.
Während Mario bereits wieder lauthals mit der Toilettenfrau über den
Sinn von Drehtüren und 0,50Cent Wertbons auf Autobahnraststätten
diskutiert, stelle ich mir vor, wie sich „Karius und Baktus“ – die
Helden und Pflichtlektüre für jedes Kind beim Zahnarztbesuch –
anstelle von Karies und anderen Erkrankungen in der Mundregion
genüsslich diverse Neurosen und Kindheitstraumata einer 43-jährigen
Geschäftsfrau aus Kassel reinstopfen, die regelmäßig ihre Zähne
bleicht, anstatt eine psychotherapeutische Behandlung zu beginnen oder mal 15 Minuten am Tag im Schneidersitz zu verharren. In
Anbetracht der Tatsache, welche grausigen Funde ich in den Mäulern der
Menschheit nach den Ansichten Marios machen würde, bin ich froh, kein
Zahnmedizinstudent zu sein.
Der Tank ist voll und ich sehe ihn – noch immer wild gestikulierend –
aus der automatischen Schiebetür des Tankstellenshops kommen, die
Fahrt mit dem ehemaligen Geschichtsstudenten und heutigem Mitarbeiter
eines Comicversandhandels kann also weitergehen.
„Die kann froh sein, hier überhaupt noch stehen zu dürfen!..